Zur Person - Ein Leben nach eigenen Regeln
Carl Marx, am 18. August 1911 in Göttnitz bei Bitterfeld geboren, ging nach seiner Lehre als Dekorationsmaler auf Wanderschaft durch
Deutschland, Österreich sowie die Schweiz und kam 1931 an das Bauhaus - zunächst in Dessau, danach in Berlin. Aus der Arbeitslosigkeit
zur Wehrmacht eingezogen, wurde Carl Marx im Zweiten Weltkrieg schwer verwundet. Nach dem Krieg arbeitete er als Gelegenheitsarbeiter
und malte - unbeirrt von offiziellen Formalismus-Vorwürfen - weiter, bis ihn in den späteren Jahren der DDR-Zeit allmählich
die verdiente Anerkennung zuteil wurde. Am 16. März 1991 starb Carl Marx, der in seiner freundlichen, wettergegerbten Erscheinung
zum Dessauer Stadtbild gehörte und sich nach der Wende streitbar in Kunstdebatten mischte, in seinem Haus am Knarrberg. Unmittelbar
danach setzte der Streit um sein Erbe ein, weil kein Testament vorlag.
(i) Literaturtipp: „Ergötzliche Briefe des Dessauer Malers Carl Marx an Wolfgang Hütt“, Verlag Janos Stekovics,
Halle 2002, 135 S., 19,80 Euro
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Da es keine Pflichtteil-Erben gibt, kann Hüneke den letzten Willen nun in vollem Umfang erfüllen.
Dieser besagt, daß er die Arbeiten des Künstlers verkaufen und den Erlös den Schwesternschaften in drei Dessauer
Krankenhäusern zukommen lassen soll. Ein Vorkaufsrecht will er dabei jenen Museen einräumen, die besonderes historisches
oder regionales Interesse am Werk von Marx haben: der Anhaltischen Gemäldegalerie Schloss Georgium und der Stiftung Bauhaus
Dessau sowie dem Landeskunstmuseum Moritzburg Halle.
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Abbildung: Gemälde „Fans“ von 1989
Dessau/MZ. Der langjährige Streit um den Nachlass des Dessauer Malers Carl Marx (1911-1991) ist beendet. In einem erst jetzt
wieder aufgefundenen Brief von 1982, der vom Nachlass-Gericht als Testament anerkannt wurde, ist der Kunstwissenschaftler und Marx-Freund
Andreas Hüneke als Nachlassverwalter benannt. Er soll die rund 180 Gemälde und weit mehr als 1000 Zeichnungen veräußern,
die Verkaufs-Erlöse sollen Dessauer Krankenschwestern zugute kommen.
Mitteldeutsche Zeitung, 21. Juli 2004, S.22
Zum Nachlass von Carl Marx
Späte Lösung eines Rätsels
Wieder aufgefundener Brief als Testament anerkannt
Ausstellung und Verkauf geplant
Von unserem Redakteur
A n d r e a s H i l l g e r
Halle/MZ. Diese Geschichte hat alles, was ein echter Kunst-Krimi braucht: Den einsamen Tod eines Malers und das plötzliche
Auftauchen angeblicher Erben, das undurchsichtige Agieren eines Nachlass-verwalters - und einen Brief, der nach langer Suche doch
noch einen letzten Willen preisgibt. Adressiert hatte ihn der Dessauer Künstler Carl Marx an den mit ihm befreundeten Potsdamer
Kunstwissenschaftler Andreas Hüneke, abgeschickt wurde er 1982. Als der Empfänger das verloren geglaubte Schreiben bei
einem Umzug wiederfand, schwelte der Nachlass-Streit seit mehr als zehn Jahren.
Interim auf Dauer
Begonnen hatte dieser Zwist 1991, als der Künstler Carl Marx kurz vor seinem 80. Geburtstag in Dessau starb. Da kein Testament
auffindbar war, wurde der künstlerische Nachlass im Depot des Dessauer Bauhauses zwischengelagert. Doch was zunächst als
Übergangslösung gedacht war, wuchs sich zur Dauer-Situation aus. Alle Versuche des Bauhauses, das Konvolut von rund 180
Gemälden und weit mehr als 1000 Zeichnungen zu erwerben, scheiterten an dem von Amts wegen eingesetzten Nachlassverwalter aus
München - ebenso wie das Bemühen der in Köln lebenden Marx-Schülerin Elisabeth Strahler, das späte Oeuvre
für ein Werkverzeichnis aufzubereiten. Dass zudem die Mietforderungen des Bauhauses für den zur Verfügung gestellten
Depot-Raum bis heute unerfüllt blieben, passt ins Bild.
Auf dem Dessauer Symposium zum 90. Geburtstag von Carl Marx kamen diese Probleme 2001 zur Sprache - und dem in Potsdam lebenden
Kunstwissenschaftler Andreas Hüneke zu Ohren. Als er später jenen Brief wiederentdeckte, der ihn als Testamentsvollstrecker
einsetzte, sandte er eine Kopie an das Magdeburger Kultusministerium. Danach musste noch die Gültigkeit durch das Dessauer
Nachlassgericht anerkannt werden...
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Ein Problem freilich ergibt sich aus der langen Markt-Abstinenz des Werkes: Weil Arbeiten
von Carl Marx derzeit kaum gehandelt werden, ist der Wert seines Nachlasses nur schwer schätzbar. Dass Ausstellungen und Kataloge
das Kaufinteresse stimulieren, ist hingegen selbstverständlich. Und so wird es - nach der ersten Schau in der halleschen Galerie
Talstraße - eine umfangreiche Retrospektive geben, die möglichst in Dessau gestartet und von einem umfangreichen Katalog
begleitet werden soll.
Licht auf die Farben
Der 78-jährige hallesche Kunstwissenschaftler und langjährige Marx-Kenner Wolfgang Hütt erwartet im Nachlass zwar
keine wirklichen Überraschungen – bis auf jene späten Bilder, in denen sich der Künstler an El Lissitzky orientierte
und seine phantastischen Welten flächiger gestaltete. Der Bauhaus-Kurator Wolfgang Thöner weiß immerhin, dass der
grafische Teil des Erbes das gesamte Spektrum des Marx-Interesses - von bauhausbezogenen Arbeiten bis zu freien Skizzen - abdeckt.
Und einig sind sich alle in einem: Es ist allerhöchste Zeit, dass dieses eigensinnige und farbenfrohe Werk endlich ins Licht
der Öffentlichkeit findet.
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Abbildung: Gemälde „Gestrandet“ von 1989 aus dem Nachlass von Carl Marx. |
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Die Auferstehung der Malerei des CARL MARX in Halle
DIE LÜSTE DES SOMMERS
Von Meinhard Michael
Was lange währt, wird manchmal gut. Dreizehneinhalb Jahre nach dem Tod des CARL MARX dürfen seine Bilder wieder gezeigt werden.
Die Biographie dieses 1911 geborenen Malers aus Dessau verzeichnet Brüche, Verhinderungen, Leerzeiten. Sie waren am 10. März
1991, dem vermutlichen Ende seines Lebens, nicht vorbei. Dubiose Umstände, herbeigeführt durch vermeintliche Erben, begleiteten
seinen Tod. Schließlich verbot der Nachlassverwalter zwecks ungestörter Erbenermittlung die für 1991 geplante Retrospektive
am Bauhaus. Leider beließ er es dabei 12 Jahre - bis ihm die Angelegenheit entzogen wurde. Im Kunstverein "Talstrasse"
in Halle sind jetzt erstmals wieder Bilder von CARL MARX zu sehen. Endlich wird man einen letzten Bauhäusler, einen "Eigenbrötler",
einen unangepassten Maler über sein früheres Image als Geheimtipp hinaus kennen lernen können.
Das Leben des CARL MARX folgt innerer Logik. In ärmster, engagierter Arbeiterschaft in Dessau-Ziebigk aufgewachsen, konnte er 1931-1933
am Bauhaus in Dessau , dann in Berlin studieren, bis zur Schließung durch die Nazis. Den euphorischen Neuanfang nach dem Weltkrieg
kühlt politische und ästhetische Distanz zu den neuen Doktrinen schon 1947 sehr ab. Marx malt nüchterne realistische Bilder
vom herben Nachkriegsleben. Völlig entschieden sind die neuen Fronten 1957/58: Marx gehört zu den "Formalisten", wird
diffamiert. Danach hält er sich mit "Kunst am Bau" über Wasser. Ende der 60er Jahre wird er langsam zum Geheimtipp.
Er verkauft bald gut, hat immer Geld in der Tasche. Er spendet erhebliche Summen auf Solidaritätskonten, schlägt viele Jahre
sogar die normale Altersrente aus, lebt bewusst spartanisch. Nie wird er einen Fernseher oder Kühlschrank haben. Jeder in Dessau
kennt CARL MARX, das ist der schöne Mann mit dem Fahrrad, der sommertäglich im Strandbad "Adria" die Frauen bewundert.
Er malt sie. Frauen im Schwimmbad, im Park, im Café, ortlose Akte. Sie treten verwandelt auf, als merkwürdige Vögel,
umschwärmt von Fischen, sie sind verkleidet als Figuren bei Shakespeare. Sie verfügen über Don Juan. Wenn Marx ein "Arbeiterbild"
malt, ist es eine feurige "Schweinezüchterin", die just einen bebrillten Intellektuellen (die geistige Macht) verhöhnt.
Solche Gegenbilder zum offiziösen Auftragsbild liebt er. Sie fielen, das zeigt nun die Ausstellung, Ende der 80er Jahre weit sarkastischer
aus.
Im Grunde malte Marx die Lüste des Sommers. Energisch gespachtelte, bekratzte, expressive Szenarien, in denen der Eine die Eine beäugt.
Ironisch ist Marx, blinzelt verschwörerisch, oft träumerisch, immer auf den Esprit, auf die psychische Attraktion aus. Marx,
eine Vollblut-Asket, wie Andreas Hüneke im Katalog schreibt, suchte in der Malerei solche Momente zu verewigen, in denen die Lebenslust
als komplexe Erfahrung aufblitzt.
Nach seinem Tod räumten Bauhausmitarbeiter (illegal, aber glücklicherweise) wohl mehr als 200 Bilder und mehrere Zeichnungsmappen
ins Bauhaus. Nach dem Verbot des Anwalts durften sie nicht mehr heran. Merkwürdig ist vor allem, dass für das Haus ein Testament
gefunden wurde (das die vermeintlichen Erben bedachte), eines für die Bilder aber fehlte. Das gibt Rätsel auf, weil CARL MARX
viele Jahre einen Hort von besten Bildern hütete, seine "Kinder", mit denen er dereinst "auftrumpfen" wollte.
Wörtlich, man kann es in den Briefen nachlesen. Und gegenüber seiner früheren Privatschülerin Elisabeth Strahler,
die ihn von Köln aus in den 80ern regelmäßig besuchte, hatte Marx beteuert: es ist alles geregelt, er habe eine Verfügung
für das Haus und eine für das Werk gemacht. Die vermutete zweite Hälfte des Testaments blieb verschwunden.
Es gehört zur Logik dieser Biographie, dass die gute Wendung CARL MARX selbst zu verdanken ist. Zuletzt hatte Elisabeth Strahler
den größten Anteil daran. Sie wusste von Marx, dass er lange vor dem erwähnten Testament, in einer Lebenskrise steckend,
den Kunsthistoriker Andreas Hüneke brieflich zum Nachlassverwalter ernannt hatte. Hüneke war wegen engagierter Projekte und
seiner Haltung von der Staatssicherheit in Halle bedroht und quasi mit Berufsverbot belegt worden. Marx hat auch ihn unterstützt
und vertraute ihm. Elisabeth Strahler erinnerte Hüneke, dass es doch diesen Brief noch geben müsse. Im vergangenen Jahr nun
fand er sich, und Hüneke ist jetzt mit der Nachlassverwaltung betreut.
Dass sich das Werk nun in professionellen Händen befindet, davon zeugt schon die Auswahl in Halle. Andreas Hüneke und Galerist
Matthias Rataiczyk haben aus dem Spätwerk Bilder gewählt, die das Bild des ironischen, fröhlichen Frauenliebhabers korrigieren.
Sie stellen ihn mit kruder, rabiater, teilweise verzweifelter Malerei vor. Unbedenklich verletzt der Künstler Vorschriften der Genauigkeit,
des Eindeutigen zu Gunsten geradezu wütend sinnlicher Energie. CARL Marx, auch insofern sind die jüngsten Übersichten zur
Kunst in der DDR zu korrigieren, war am Ende seines Lebens einer ihrer jüngsten Maler, freilich sehr verzweifelt.
Zitiert aus: Leipziger Volkszeitung, 7. September 2004
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